Das priorisierte Vorhaben B1.06, "E-Government-Architektur Schweiz", ist ein zentrales Element des nationalen E-Government-Programms. Im Februar 2011 sind die entsprechenden eCH-Standards in die Vernehmlassung gelangt. Am 21. September 2011 hat ein Kolloquium der KOST das Thema vorgestellt und mögliche Konsequenzen für die Archive dargelegt.
Einleitend gab Willy Müller (Informatik-Strategieorgan des Bundes), Leiter der eCH-Arbeitsgruppe SEAC und Hauptautor der erwähnten eCH-Standards, eine Einführung in die geplante E-Government-Architektur Schweiz. E-Government-Architektur ist in erster Linie Geschäftsarchitektur. Sie ermöglicht es, die Akteure, Zuständigkeiten und Aufgaben in den Geschäftsprozessen zwischen Behörden, Firmen und Bürgern in ihrem Zusammenhang darzustellen und zu überblicken. Damit dient sie als Planungsinstrument, um die entsprechende Anwendungslandschaft optimal zu konstruieren.
-- Prozesse in der E-Government-Architektur Schweiz (Grafik: KOST, nach eCH-0140) --
Die E-Government-Architektur akzentuiert einen Paradigmenwechsel: Das Organisationsprinzip der Verwaltungstätigkeit verlagert sich von Behördenprozessen zu Geschäftsprozessen. Es besteht die Tendenz, die Behörden aller föderalen Niveaus kollektiv als Blackbox aufzufassen, die über einen Single Point of Contact, gleichsam einen Kundenschalter, von aussen zugänglich ist. Der Kunde muss sich nicht selber um die verschiedenen Prozesse kümmern, die behördenübergreifend für ein bestimmtes Geschäft notwendig sind (siehe dazu auch: Klaus Lenk, Tino Schuppan, Marc Schaffroth: Vernetzte Verwaltung. Organisationskonzept für ein föderales E-Government Schweiz. eCH-White Paper, 11. Juni 2010). Dies hat tiefgreifende Konsequenzen auf die Art und Weise, wie das entsprechende Verwaltungshandeln dokumentiert und archiviert werden kann (Bewertung, Zugänglichkeit, Beständebildung etc.). Damit setzte sich Andreas Kellerhals, Direktor des Schweizerischen Bundesarchivs, auseinander. Er liess sich dabei vom archivischen Haupt-Ordnungsprinzip der Provenienz leiten und skizzierte eine "E-Provenienz": die Herkunft nicht mehr aus Organisationseinheiten, sondern aus Geschäftsprozessen. Ein möglicher Ansatzpunkt für eine solche E-Provenienz könnte das Leistungsinventar eGov CH sein (eCH-0070), welches sämtliche staatlichen Leistungen beschreibt und eindeutig identifiziert.
Als Kontrast zur schweizerischen Planung referierte Kuldar Aas, stellvertretender Leiter digitale Archivierung des Estnischen Nationalarchivs, über die Erfahrungen aus einem Land, das in E-Government-Rankings regelmässig Bestnoten erhält. Er machte eingangs deutlich, dass Estland dabei von speziellen Voraussetzungen profitiert: junges Land und junge Verwaltung, niedrige Bevölkerungsdichte, wenig ausgeprägter Föderalismus, relativ lockere Datenschutzbestimmungen. Das Rückgrat der estnischen E-Government-Architektur ist ein einheitlicher Daten-Austauschlayer namens X-Road. Sämtliche E-Government-Dienste sind obligatorisch an diesen Layer angehängt. Dazu gehören insbesondere zentrale Registraturen für Stammdaten, ein Dokumenten-Repository sowie ein Identitätsdienst, der auf den digitalen ID-Karten basiert. Dies ermöglicht die Erfüllung eines Grundprinzips, nämlich dass die gleichen Daten nie mehr als ein Mal erhoben werden. Für das Nationalarchiv bedeutet diese Infrastruktur, dass es in der Frühphase des Lifecycles intervenieren muss und kann, dass Transferfristen und -intervalle kürzer werden und dass Probleme wie die Datenduplikation und das Mengenwachstum der Dokumente früh gelöst werden können.