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Minimalanforderungen an Records-Management-Systeme aus archivischer Sicht

Definition

Unter Records Management (RM) bzw. Schriftgutverwaltung oder Aktenführung [1] versteht man gemäss ISO 15489 die effiziente und systematische Kontrolle und Durchführung der Erstellung, Entgegennahme, Aufbewahrung, Nutzung und Aussonderung von Schriftgut einschliesslich der Vorgänge zur Erfassung und Aufbewahrung von Nachweisen und Informationen über Geschäftsabläufe und Transaktionen in Form von Akten. Betroffen ist also der gesamte Lebenszyklus von Schriftgut.

Nutzniesser von Records Management sind in erster Linie die primären Erzeuger und Nutzer von Informationen und nicht die Archive. Im Fall der KOST sind dies die nationalen, kantonalen und kommunalen Verwaltungen. Vorgaben für RM müssen aus einer RM-Perspektive entwickelt werden und dem Standard eCH-0002 entsprechen.

Ausgangslage

Archive gehören in jedem Fall zu den Stakeholdern von RM, weil sie eine wichtige Rolle im Lebenszyklus der Unterlagen spielen, auch wenn sie bei RM-Einführungen nicht zwingend leitend oder koordinierend tätig sind. Bei der Evaluierung und Einführung von Records-Management-Systemen (RMS) müssen sie sich in erster Linie zu Anwälten derjenigen Anforderungen machen, welche eine spätere geordnete digitale Archivierung der in diesen Systemen verwalteten Unterlagen ermöglichen.

Das vorliegende Dokument detailliert diese Minimalanforderungen, die aus archivischer Sicht an ein elektronisches RMS gestellt werden müssen. Dabei ist es wichtig zu präzisieren, dass zentrale Funktionen von RMS in der Praxis oft von verschiedenartigen IT-Systemen ausgeführt werden, wie zum Beispiel von Dokumenten-Management-Systemen und Fachanwendungen [2]. Das vorliegende Dokument ist sinngemäss auch auf solche Systeme anwendbar. Zur einfacheren Lesbarkeit wird jedoch durchgehend der Begriff RMS verwendet.

Minimalanforderungen an RMS aus archivischer Sicht

  1. Dossierprinzip: Die Dossierbildung muss unterstützt werden. Dokumente dürfen nur im Zusammenhang eines Dossiers vorkommen [3].
  2. Ordnungssystem: Im RMS muss ein Ordnungssystem (OS) hinterlegt sein und verwendet werden. Nur wenn Dossiers in einem Ordnungssystem verortet sind, ist ihr Entstehungs- und Bearbeitungskontext dokumentiert.
  3. Schutz und Sicherheit: Die Dossiers und Dokumente müssen mit organisatorischen und technischen Massnahmen vor unautorisierter und unprotokollierter Veränderung sowie vor Verlust geschützt werden.
  4. Metadaten: Für die archivische Verzeichnung ist ein Minimalset von beschreibenden Metadaten mindestens auf der Ebene Dossier obligatorisch [4]. Gewisse dieser Metadaten muss das Archiv von der aktenbildenden Stelle übernehmen können. Diese Metadaten müssen deshalb im RMS obligatorisch sein und sinnvoll gefüllt werden. Es handelt sich dabei um Metainformationen zu den folgenden Bereichen: Titel; Entstehungszeitraum/Laufzeit; Zugangsbestimmungen [5]; Aktenzeichen im originalen System.
  5. Bewertung: Aus Gründen der Effizienz und der besseren Nachvollziehbarkeit werden die einzelnen Positionen der Aktenpläne, die einem RMS zugrunde liegen, oftmals mit prospektiven Bewertungsentscheiden versehen. Es muss möglich sein, diese Bewertungsentscheide im RMS zu hinterlegen und zu vererben.
    Darüber hinaus muss die Einzelbewertung von Dossiers und Dokumenten durch das Amt oder das Archiv möglich und gemäss Regeln automatisierbar sein. Dadurch werden die Sample-Bildung in Seriendossiers und die Auswahl von Dokumenten in Abhängigkeit von Bearbeitungsstatus und/oder Version unterstützt.
  6. Abschliessen von Dossiers: Das RMS muss es ermöglichen, dass Dossiers explizit abgeschlossen oder abgebrochen werden, damit die Berechnung von Fristen möglich ist. Der Abschluss von Dossiers muss zu geeigneten Zeitpunkten erzwungen werden können.
  7. Konvertieren von Dokumenten: Dokumente müssen durch die aktenführende Stelle spätestens bei der Ablieferung an das Archiv, aber möglichst schon bei ihrer Finalisierung (Dossierabschluss / -abbruch) in ein vom Archiv akzeptiertes Format konvertiert werden [6]. Die zeitnahe Konvertierung durch die aktenführende Stelle selbst vermindert Obsoleszenzrisiken und ermöglicht eine bessere Qualitätskontrolle als eine spätere Konvertierung.
  8. Geordnete Übernahme: Das System muss Primär- und Metadaten gemäss einem definierten Prozess- und Daten-Schema exportieren können. Die angebotenen Daten dürfen nicht passwortgeschützt oder verschlüsselt sein. Falls ein System archivierte Daten beibehält, müssen dies als archiviert gekennzeichnet werden können. Archivwürdige Unterlagen sind solange durch die aktenführende Stelle in ihren Systemen bereitzuhalten, bis die erfolgreiche Ablieferung ans Archiv durch dieses bestätigt wurde.

Anhang

Zitierte Quellen

eCH
eCH-0002: Records Management
Version 1.00, 23.06.2003
https://www.ech.ch/de/ech/ech-0002
(referenziert: International Organization for Standardization, Information and documentation – Records Management – Part 1: General [ISO 15489-1:2001]
http://www.iso.org/iso/iso_catalogue/catalogue_tc/catalogue_detail.htm?csnumber=31908)

KOST
Katalog archivischer Dateiformate (KaD)
Version 2.0, 2009
https://kost-ceco.ch/wiki/whelp/KaD

KOST
Rahmenspezifikation für die digitale Archivierung (Projekt bentō)
2010
Projekt bentō

 

Weitere Literatur

Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag
Empfehlung: Archivische Anforderungen bei der Einführung eines Dokumenten-Management-Systems bzw. eines Vorgangsbearbeitungs-Systems
2007
https://www.bundeskonferenz-kommunalarchive.de/empfehlungen/Empfehlung_DMS.pdf


Model Requirements for the Management of Electronic Records
MoReq2 Specification
2008
https://www.moreq.info/

Anmerkungen

[1] Zur Terminologie siehe insbesondere Archivschule Marburg: Schriftgutverwaltung, Terminologie, https://www.archivschule.de/uploads/Forschung/ArchivwissenschaftlicheTerminologie/Terminologie.html.

[2] Dokumenten-Management-Systeme (DMS) verwalten Dokumente, verzichten aber auf Workflow-Kontrolle und geschäftsbezogene Strukturierung der Dokumente (Ordnungssystem, Dossierbildung). Fachanwendungen bzw. datenbankgestützte Informationssysteme werden für die Lösung einer bestimmten Verwaltungsaufgabe verwendet, erzeugen aber in der Regel ebenfalls Unterlagen im Sinne von Records.

[3] Eine virtuelle Dossierbildung als Resultat einer Suchabfrage genügt nicht.

[4] Siehe Rahmenspezifikation für die digitale Archivierung (Projekt bentō), S.6f.

[5] Unter "Zugangsbestimmungen" werden Informationen zum Öffentlichkeits-, Datenschutz- und Geheimhaltungsstatus der Unterlagen verstanden, welche für die Bestimmung von archivischen Schutzfristen und Zugangsbestimmungen mitentscheidend sind.

[6] Empfehlung: Es sind Formate aus dem Katalog archivischer Dateiformate (KaD) der KOST zu verwenden.

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